„ForeSight lebt die Vision eines digitalen Ökosystems.“
Michael Schidlack, Sie beschäftigen sich durch die Koordination des Konsortiums im Projekt ForeSight ständig mit Künstlicher Intelligenz für Wohngebäude und Quartiere. Setzen Sie denn bereits auch KI-Anwendungen in Ihren eigenen vier Wänden ein?
Mein Zuhause ist mit weit über 200 Sensoren, Aktoren und sonstigen Geräten vernetzt. Das klingt nach viel. Für eine durchschnittliche Stadtwohnung ist das bei einer Vollvernetzung aber eine ganz normale Größenordnung. Es werden hier auch die verborgenen vernetzten Geräte und Produkte, die in der Gebäudehülle oder unterhalb des Putzes einer Wohnung liegen, mitgezählt. Zum Beispiel Lichttaster, ein elektrisches Stellventil oder eine Lüftung. Viele denken bei Smart Home noch an die Dinge, die nur für das Auge sichtbar sind und die man ständig bedient, wie einen Fernseher oder eine Waschmaschine. In Wirklichkeit ist es aber schon jetzt in einer normalen Wohnung viel mehr, was elektronisch oder elektrisch betrieben wird.
Die Vernetzung der bei mir integrierten Geräte und Produkte folgt derzeit noch festen Standardregelwerken, die auch nicht vorausschauend sind. KI-Anwendungen kommen in meiner Wohnung damit noch nicht zum Einsatz, mit ForeSight wollen wir das aber entwickeln. Daher fließen auch die Daten aus meiner Wohnung in das Projekt ein.
Nicht nur privat sind Sie Experte für das Thema. Auch als ehemaliger Chefstratege eines Schweizer Smart-Living-Unternehmens können Sie wertvolle Erfahrungen mit in das Projekt einbringen. Welche sind das genau?
Eines hat mir meine berufliche Erfahrung immer wieder gezeigt: Um in der Zukunft ein wirklich smartes und intelligentes Zuhause etablieren zu können, müssen wir über das Stadium der „Fernbedienung“ hinauskommen. Die meisten Smart-Home-Systeme, die es derzeit auf dem Markt gibt, folgen immer noch diesem Prinzip. So wird das vernetzte Licht in der Wohnung entweder über Sprachfunktion oder über ein Smartphone angeschaltet. Aber das ist eigentlich nicht das, was die Zukunft bringen sollte. Smart Home sollte sich vielmehr dadurch auszeichnen, dass das Haus oder die Wohnung autonom, also weitgehend ohne manuelle Bedienung funktioniert. Ähnlich wie beim autonomen Fahren: Der Fahrer oder die Fahrerin setzt sich hinters Steuer und wird automatisch an den gewünschten Ort gefahren. Der Mensch muss lediglich das gewünschte Ziel kommunizieren. Die KI benötigt man, um situationsabhängig und vorausschauend zu agieren, folgt also keinen starren Regeln mehr. In meiner Funktion als CSO war dies eine sehr wichtige Vision, um die Zukunftsfähigkeit zu sichern. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Um in der Zukunft ein wirklich smartes und intelligentes Zuhause etablieren zu können, müssen wir über das Stadium der „Fernbedienung“ hinauskommen.
Michael Schidlack Tweet
Jetzt haben wir viel über Smart Home gesprochen. Wie kommt denn Ihrer Meinung nach die Digitalisierung von Gebäuden in Deutschland voran? Sind wir da auf einem guten Weg oder gibt es da noch Aufholbedarf?
Modernste Technologien sind in Deutschland vorhanden. Trotzdem sind vollvernetzte und digitale Wohngebäude noch zu selten, wir finden eher Technologie-Silos vor. Mit ForeSight entwickeln wir die Ansätze für einen wirtschaftlichen Betrieb, dabei hilft der Einsatz Künstlicher Intelligenz. So können am Ende alle Prozesse im Gebäude digital ablaufen: von der Mieterkommunikation und -verwaltung über die vorausschauende automatische Gebäudewartung bis hin zu externen Services wie beispielsweise eines intelligenten Türpförtners oder einer schlüssellosen Paketzustellung. Für eine zukunftsfähige Bereitstellung dieser Services am Gebäude sind hersteller- und gewerkeübergreifende Lösungen unumgänglich.
Smart Living ist ein zukunftsträchtiges Thema, nicht umsonst wird gerade ein weltweiter Umsatz von 260 Milliarden Euro bis 2025 prognostiziert. Pro Jahr soll die Branche um bis zu 30% in den kommenden Jahren wachsen. Was muss passieren, damit diese Zahlen keine Luftschlösser bleiben?
Die Zahlen basieren auf verschiedenen Annahmen. Eine der wichtigsten Annahmen ist, dass digitale Ökosysteme entstehen. Das heißt, die prognostizierten Umsätze setzen sich nicht allein aus Zahlen der Gebäudetechnologie oder der im Gebäude eingesetzten Hardware zusammen. Sondern vielmehr aus den Umsätzen, die mit den darauf aufbauenden Services erwirtschaftet werden können, wenn Gebäude und Gebäudehüllen eines Tages vollständig digitalisiert sind. Das ist ein erheblicher Anteil und es entstehen Hebeleffekte. Der Effekt lässt sich gut mit einem Smartphone vergleichen. Am Anfang gab es das Smartphone als einfache Hardware und übernahm die alleinige Aufgabe der Kommunikation. Inzwischen hat der Servicegedanke den ursprünglichen Nutzen der Telefonie längst überholt. Es ist ein riesiges Ökosystem an wertschöpfenden App-Anwendungen und weiteren Serviceleistungen entstanden. Und genau das sehen wir im Bereich Smart Living auch. Die Etablierung eines Digitalen Ökosystems wird für ein selbstgetriebenes Wachstum sorgen.
Das wir es hier mit einem Thema der Zukunft zu tun haben, zeigt auch die Entwicklung bei ForeSight. Anfang 2020 ist das Projekt mit 17 Konsortialpartnern gestartet. Zum jetzigen Zeitpunkt sind über 50 assoziierte Partner dazugekommen. Welche Gründe hat dieses rasante Wachstum?
Ich denke, dass viele Firmen inzwischen realisiert haben, dass wir mit herkömmlichen Methoden und der bereits erwähnten Silo-Situation nicht weiterkommen. Die Unternehmen haben erkannt, dass die Zukunft in der vollständigen Vernetzung liegt. Es werden dringend Methoden der Künstlichen Intelligenz benötigt, um die Vision eines wirklich effizienten und sicheren Gebäudes, welches selbstständig autonome Entscheidungen treffen kann, zu verwirklichen. Das kann nur funktionieren, wenn sich eine große Zahl an Partner auf diesen Weg einigen. Mit über 70 Konsortial- und assoziierten Partnern sind wir hier auf jeden Fall auf dem richtigen Pfad.
Ich denke, mit ForeSight haben wir eine Chance, im internationalen Wettbewerb die Nase vorn zu halten.
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ForeSight möchte eine Plattform für innovative Unternehmen bieten, die vorwettbewerblich an Künstlicher Intelligenz forschen. Was macht es für Unternehmen, Verbände und Forschungseinrichtungen so attraktiv, bei ForeSight mitzumachen?
Ich denke, mit ForeSight haben wir eine Chance, im internationalen Wettbewerb die Nase vorn zu halten. Bekanntermaßen ist der internationale Wettbewerb im Bereich Künstliche Intelligenz hart umkämpft, gerade durch China und die USA. Große Player wie Google, Amazon oder Apple setzen die nötige Schwungmasse in den Vereinigten Staaten in Gang. Auch China profitiert von gewissen Wettbewerbsvorteilen im Bereich KI, auch oder gerade weil beim Datenschutz nicht so genau hingeschaut wird. ForeSight möchte den Europäern eine Alternative zu diesen beiden Welten bieten. Wir möchten einerseits eine vertrauenswürdige Daten-Infrastruktur nach den europäischen Wertvorstellungen bieten und ethische Voraussetzungen von Anfang an verankern. Gleichzeitig möchten wir durch eine branchenübergreifende Lösung die notwendige Schwungmasse in Gang bringen. Dies können wir nur mit einem sehr großen Konsortium erreichen, an dem auch Unternehmen unterschiedlichster Größe mitarbeiten. Mit der Integration der Wohnungswirtschaft, der größten Anwendergruppe, stellen wir mit dem ForeSight-Lösungsansatz auch die Zukunftsfähigkeit sicher. Dass macht das Projekt ist aus meiner Sicht besonders attraktiv und ist im Wesentlichen auch unser USP.
Die Integration der Wohnungswirtschaft ist also ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Was unterscheidet ForeSight denn noch von anderen Projekten, die im Bereich Anwendungen für Wohngebäude forschen?
ForeSight lebt die Vision eines Digitalen Ökosystems. Diesen Gedanken hat das Projekt von Anfang an in den Mittelpunkt seiner Forschung gestellt und hebt sich damit klar von anderen Projekten ab. Nur mit Hilfe eines starken Ökosystems können wir einen Wettbewerbsvorteil für die europäische Industrie sichern. Deshalb sehe ich neben der Integration der Wohnungswirtschaft einen weiteren USP in einer Branchen- und Plattform-übergreifenden Vernetzung. Dies erreichen wir mit einer Datenplattform, die auf den europäischen Regeln GAIA-X basiert. Wenn wir es schaffen, mit einer Vielzahl von Akteuren eine herstellerunabhängige Plattform aufzubauen, können wir mit den internationalen Playern mithalten und Deutschland einen klaren Wettbewerbsvorteil sichern.
Diese Argumente stoßen bestimmt auf großes Interesse bei Smart-Living-Firmen. Haben interessierte Unternehmen denn jetzt noch eine Chance bei ForeSight aufgenommen zu werden?
Ja, auf jeden Fall. Jedes Unternehmen, das den im Projekt zugrundeliegenden Parametern folgen möchte, ist herzlich willkommen. ForeSight ist strategisch grundsätzlich auf GAIA-X als wesentliche europäische Infrastruktur zum Thema Daten und Cloud Computing ausgerichtet. Die Frage der Interoperabilität und der Semantik wird durch SENSE WoT verkörpert und nimmt einen großen Stellenwert ein. Der Einsatz der Künstlichen Intelligenz wird in ForeSight also nur durch eine semantische Interoperabilität möglich. Auch sollte klar sein, dass wir es hier mit einer klassischen B2B-Plattform zu tun haben, es geht also nicht um eine klassische Produktentwicklung für einen bestimmten Endkunden. Es geht vielmehr darum, am Ende Businesspartner zu haben, die diese Lösung bei sich einsetzen. Die interessierten Firmen sollten diesen Themen gegenüber aufgeschlossen sein.
Das heißt also, wer Interesse hat, kann jederzeit gerne über die Website Kontakt aufnehmen. Wir danken Ihnen für das Gespräch, Michael Schidlack!
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