„ForeSight setzt auf Gaia-X-Konformität.“

Dr. Hilko Hoffmann, ForeSight-Teilprojektleiter für Plattformkomponenten und Referenzarchitektur und Senior Researcher am DFKI, spricht mit uns über das Potenzial von KI-Anwendungen für Smart Living Services, vor welchen Herausforderungen die Forschung derzeit noch steht und welche tragende Rolle Gaia-X dabei spielt.

Herr Dr. Hoffmann, Sie forschen seit vielen Jahren am DFKI im Bereich Agenten und Simulierte Realität an semantischen- und KI-Technologien. Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Bereich Smart Living zu?

Aufbauend auf den Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu Semantischer Interoperabilität adressieren wir im Rahmen unserer aktuellen Forschung in ForeSight zwei wesentliche Themen im Bereich Smart Living und zwar unter Einsatz von neuronalen und regelbasierten KI-Methoden: lebensbegleitende Assistenz sowie Energieeffizienz durch intelligente Steuerung von Geräten und ganzen Gebäuden. Beim Thema Assistenz geht es u.a. darum, mit Hilfe einer KI das selbständige und sichere Leben in einem Haus oder einer Wohnung auch bei einem erhöhten Assistenzbedarf zu ermöglichen. Im Mittelpunkt der Forschung steht hier die Erkennung von grundlegenden Einzel- oder ganzen Tagesabläufen, typischen Verhaltensmustern auf der Basis gängiger und preiswerter Smart Home Sensorik sowie Smart Meter Daten. Wir befassen uns u.a. mit der Frage, wie KI-basierte Services aufgebaut und strukturiert sein müssen, damit sie sinnvoll in verschiedenen Wohnungen eingesetzt werden können. Ein zentraler Ansatz ist dabei das maschinelle Lernen, d.h. die Integration klassischer, regelbasierter und neuronaler KI. Wir können damit beispielsweise Beiträge zur Früherkennung einer sich langsam entwickelnden Demenz-Erkrankung oder körperlichen Beeinträchtigungen leisten.

Das zweite, vielleicht sogar noch drängendere Thema, umfasst den Bereich Energieeffizienz im Gebäude. Denn mit der passiven Wärmedämmtechnik allein können die Klimaschutz- oder Effizienzziele nach Ansicht von Experten nicht erreicht werden.

Das zweite, vielleicht sogar noch drängendere Thema, umfasst den Bereich Energieeffizienz im Gebäude. Denn mit der passiven Wärmedämmtechnik allein können die Klimaschutz– oder Effizienzziele nach Ansicht von Experten nicht erreicht werden. Unser Ziel ist daher, im Gebäude vorhandene Smart Home Komponenten, Geräte und Anlagen, wie z.B. Heizungen, miteinander zu vernetzen und mit einer KI möglichst situationsangepasst und vorausschauend zu steuern. In diese Steuerung fließen neben den verfügbaren Smart Meter Daten und individuellen Verbrauchmessungen auch die Lebens- und Nutzungsgewohnheiten der Bewohner*innen ein. Die KI stellt Nutzungsmuster und Prognosen einem Energiemanagementsystem für die intelligentere Steuerung des Gebäudes zur Verfügung.   

Damit haben Sie verdeutlicht, welche wertvollen Beiträge die KI für die Gesellschaft leisten kann. Beim Einsatz sind aber noch eine ganze Reihe von Parametern zu berücksichtigen, damit der Mensch nach wie vor im Mittelpunkt bleibt…

Ja, unbedingt wichtig sind bei solchen Anwendungen die Erklärbarkeit und Validierung von KI-Entscheidungen, der adäquate Datenschutz der sensiblen Daten und die Berücksichtigung ethischer Fragestellungen. KI kann für eine technische Assistenz wertvolle Informationen und gegebenfalls sogar Prognosen beisteuern, die eigentlichen Entscheidungen trifft jedoch nach wie vor der Mensch.

In ForeSight forschen wir zu den beiden oben beschriebenen Themen unter Berücksichtigung all dieser Parameter und zeigen die Möglichkeiten der Aktivitätenerkennung auch im Rahmen der Use Cases auf. Hinzu kommt das Thema vorausschauende Wartung, bei dem versucht wird, sich ankündigende Systemausfälle und Defekte möglichst frühzeitig zu erkennen.

ForeSight steht für die Entwicklung einer KI-Plattform. Wie könnte so eine Plattform für zukunftsfähige, intelligente Smart-Living-Services aufgebaut sein?

Im Zentrum der Forschung steht die KI-Methodik und die Frage, welche Daten muss ich überhaupt zusammenführen und wie muss ich die Daten annotieren, damit ich KI erfolgreich einsetzen kann. Smart Living Daten sind in den meisten Fällen Zeitserien aus Sensoren, Geräten und Anlagen.  Wir untersuchen deshalb, welche Methoden sich für die Analyse und die Prognose eignen. Für das maschinelle Lernen muss man dem System erst einmal viele Daten präsentieren, um die Normalzustände lernen zu können. Die KI soll also aus dem Ist-Zustand über einen längeren Zeitraum hinweg lernen, wie normale Abläufe aussehen und welche normalen Varianzen es gibt. Wenn es zu signifikanten Abweichungen kommt, dann kann man somit davon ausgehen, dass möglicherweise ein Problem aufgetreten ist. Herausforderungen ergeben sich bei den notwendigen Trainingsdaten für das maschinelle Lernen. An dieser Stelle helfen uns Simulationen weiter. Die Simulation einer real existierenden Wohnung erlaubt es, die darin ablaufenden Vorgänge nahezu beliebig zu verändern. Wir können auf diesem Weg normale und außergewöhnliche Situationen durchspielen, um eine größere Menge an geeigneten, synthetischen Trainingsdaten zu erhalten. Die Simulation hilft uns auch, das Verhalten einer trainierten KI zu überprüfen, deren Zuverlässigkeit zu erhöhen und Hinweise für Fehlentscheidungen einer KI zu erhalten.

Hilko Hoffmann
Dr. Hilko Hoffmann

Schauen wir einmal auf das Thema Mietwohnungen. Hier muss eine KI leicht anpassbar sein, wenn es zu einem Mietwechsel kommt. Welche Ansätze können das sein?  

Eine KI lernt wie beschrieben die Normal-Zustände eines gewöhnlichen Tagesablaufs kennen mit Informationen darüber, wie variabel verschiedene Aktivitäten ausfallen können. Die gelernten Tagesabläufe, d.h. die KI-Modelle, sind somit hoch individuell. Werden diese KI-Modelle für eine intelligente Funktion in einer Wohnung eingesetzt, ist die Frage: was passiert bei einem Mieterwechsel und wie kann man ein existierendes Modell so anpassen, dass es auch für die neuen Mieter*innen passt?  Die Mieter*in A hat ja nun einen ganz anderen Tagesablauf als die Mieter*in B. Trotzdem muss eine Wohnung bei einem Mieterwechsel auf die unterschiedlichen Abläufe reagieren können. Der Schlüssel liegt in der Filterung der Gemeinsamkeiten des Tagesablaufs.  Die Mieter*innen A und B haben eventuell gemeinsame Aufstehzeitpunkte, Peaks in den Energieverbräuchen oder ähnliche Küchen- und Badezimmerroutinen. Vielleicht variieren in den Punkten die Tageszeiten und Nutzungsintensitäten, aber es sind trotzdem erst einmal Gemeinsamkeiten. Und genau hier setzt ForeSight an: Die Gemeinsamkeiten werden in ForeSight als sogenannte Basisservices definiert und als virtuelle Sensoren ausgedrückt.  Die Basisservices dienen dazu, die komplexen Zusammenhänge auf Einzeltatbestände herunterzubrechen und diese dann flexibel wieder auf einer zweiten Ebene zusammenzusetzen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Multilayer-KI. Dieser Ansatz ist aus unserer Sicht ein Alleinstellungsmerkmal von ForeSight.

Das Thema Datenschutz ist ein wichtiges Thema. Welchen Beitrag kann die europäische Dateninitiative Gaia-X in diesem Zusammenhang für ForeSight leisten?

Künstliche Intelligenz lebt von Daten. Um KI erfolgreich einsetzen zu können, brauchen wir eine einheitliche Datenbasis. Das heißt, es bedarf eines Datenbestands, der nach den gleichen Regeln beschrieben ist. Zeitgleich ist es wichtig, einfach auf die Daten zugreifen zu können. Der Zugriff unterliegt entsprechenden Datenschutzrichtlinien und das ist auch gut so. Um dem Problem einer sicheren und für die Nutzenden vertrauenswürdigen Cloud-Infrastruktur zu begegnen, wurde Gaia-X ins Leben gerufen. Die europäische Initiative Gaia-X bietet die Möglichkeit, Daten nach europäischen Wertvorstellungen sicher und datenschutzkonform zu den von Usern festgelegten Bedingungen zu verwenden.  Ein Kernkonzept von Gaia-X sind so genannte Shared Data Spaces, die die verschiedensten Datenbestände in einer einheitlich, semantisch beschriebenen Umgebung verfügbar machen. Und davon profitieren wir sehr, denn auf diesem Weg können alle notwendigen Daten erheblich einfacher gefunden und integriert werden, die wir für eine Smart Living KI brauchen. Die Daten ergeben zusammen mit den intelligenten Basisservices, den semantischen Beschreibungen und den Suchfunktionen einen Smart-Living-Shared Dataspace – ein wesentliches Element in ForeSight. Bei der Entwicklung des Data Space achten wir darauf, möglichst Gaia-X-konform zu sein. Damit können wir eine Anschlussfähigkeit auch über das Projektende hinaus sicherstellen.

Im Projekt ForeSight sind Sie Teilprojektleiter für den Bereich „Plattformkomponenten und Referenzarchitektur“. Was können wir uns darunter genau vorstellen?

Die Forschung steht momentan noch vor wesentlichen Herausforderungen, denen wir im Rahmen von ForeSight begegnen möchten. Diese betreffen vor allem die mangelnde Digitalisierung vieler Gebäude, das Fehlen entsprechend wichtiger Testdaten oder auch die nicht hinreichende Neutralität von Testdaten. Deshalb haben wir im Projekt einen Plattformgedanken und eine Referenzarchitektur implementiert, die wir ständig weiterentwickeln. Die Plattform bietet alle benötigten Datenressourcen und Basisservices an, die wir zur Entwicklung intelligenter Smart Living Services brauchen. Sie zeigt exemplarisch, wie Daten in eine KI-Plattform fließen können, wie sie verwaltet, semantisch annotiert und in KI-Services genutzt werden können. Die Referenzarchitektur gibt vor, wie diese Services auf der technischen Ebene zusammenspielen und folgt dabei u.a. dem weltweit etablierten Link-Data-Prinzip. 

Um dem Problem einer sicheren und für die Nutzenden vertrauenswürdigen Cloud-Infrastruktur zu begegnen, wurde Gaia-X ins Leben gerufen.

Der Vorteil des Baus einer solchen Plattform und der verteilten Referenzarchitektur liegt in der branchenübergreifenden Vernetzung aller wichtigen Player aus dem Bereich Wohnungswirtschaft, Elektroindustrie, Digitalwirtschaft, Technologieanbieter für Gebäude, Verbände, Wissenschaft und Handwerk und der Möglichkeit, viele unterschiedliche Datentöpfe in das Projekt einfließen lassen zu können. In ForeSight sind wir dann dafür verantwortlich, die entsprechenden Daten nach den allgemeinen DSGVO-Richtlinien mit KI-Methoden zu abstrahieren bzw. zusammenzuführen. Dafür muss die Referenzarchitektur in einer hochverteilten Umgebung funktionieren. Das heißt, wir sprechen hier von einer hochverteilten, modularen Umgebung aus einzelnen Datenbeständen und Services, die je nach Anwendungszweck flexibel zu einem so genannten Shared Data Space zusammengebunden werden können. Zudem haben wir mit Hilfe des Plattformgedankens die Möglichkeit neue Wege aufzuzeigen, wie man beispielsweise einen erfolgreichen Datentransfer aus den verschiedenen Systemwelten in eine Cloudumgebung darstellen kann. Auf diesem Weg erhalten wir Antworten auf die Fragen, wie man Daten verwaltet und für KI entsprechend aufbereitet, welche Aussagen sich davon ableiten lassen und wie man die Daten von konkreten Herstellern und Systemausprägungen ein Stück weit abstrahieren kann.

Um die von Ihnen beschriebene Plattform für Smart-Living-Anwendungen realisieren zu können, setzt ForeSight auf das Thema Semantische Interoperabilität. Dieser Ansatz wird derzeit im Projekt SENSE erforscht und bei ForeSight weiterentwickelt. Können Sie uns darüber noch etwas erzählen?

SENSE war der Vorläufer, der Ideengeber von ForeSight. Das Projekt begreift das Gebäude mit seinen vielfältigen Gewerken als Zentrum von Smart Living und schafft erstmals die Grundlage für eine herstellerneutrale Kommunikation. Hier wurden die Grundlagen erarbeitet, wie die Beschreibung der Smart Home Komponenten und Geräte, aber auch, wie die daraus abgeleiteten Services mit dem „Web of Things“ (WoT-) Konzept erfolgen kann. SENSE WoT verwendet bereits vorhandene IoT- und Smart Home Ontologien.  Mit SENSE WoT können wir zeigen, wie man verschiedene Geräte gleicher Art, also zum Beispiel intelligente Türschlösser, Bewegungs- und Temperatursensoren, intelligente Strommesssteckdosen oder -Geräte, so beschreiben kann, dass sie sich nach oben hin zur Anwendung semantisch immer gleich präsentieren und sich unter der Oberfläche dann auf die entsprechenden Systemspezifika verzweigen. Die aus der semantischen Beschreibung entstehenden, sogenannten Things werden in einer semantischen Datenbank, der sogenannten Registry, verwaltet. Die Registry lässt semantische und mit KI-Methoden situationsadaptive intelligente Suchen zu. Mit SENSE können Systeme semantisch beschrieben werden, die keine eigene semantische Beschreibung liefern. Das ist derzeit noch die Mehrheit der verfügbaren Systeme.

Das waren sehr spannende Einblicke in die Welt der Künstlichen Intelligenz und der Semantik und hat uns vor allem Eindrücke von den technischen Komponenten in ForeSight vermittelt. Herr Dr. Hoffmann, wir danken Ihnen sehr für dieses Gespräch!

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